Bereits 2022 mahnte der Frankfurter IHK-Präsident Ulrich Casper: Allein in der Region Rhein-Main fehlten dem Handwerk rund 132.000 Fachkräfte – und seine düstere Prognose für die Mitte des Jahrzehnts hat sich leider bestätigt. Mit dem 2025 in Kraft tretenden Berufsvalidierungs- und digitalisierungsgesetz (BVaDiG) gibt es ein Instrument gegen diesen negativen Trend, das die Handwerkerinnungen jedoch mit sehr gemischten Gefühlen betrachten.
Nicht ungelernt, nur anders qualifiziert
Das duale Ausbildungssystem ist eine der tragenden Säulen des deutschen Handwerks. Daran wird sich auch in der Zukunft nichts ändern. Dennoch finden in Handwerksbetrieben nicht nur Absolventinnen der Berufsschulen ihr Auskommen: Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sind Knowhow und Erfahrung oft noch wichtiger als die geradlinig verlaufene Ausbildung. Deshalb packen in vielen Betrieben auch Menschen ohne fachbezogenen Berufsabschluss mit an. Doch wie genau sind die individuellen Fähigkeiten einzuschätzen? Auch das BVaDiG ermöglicht es künftig, vorhandene Fähigkeiten zu validieren. „Die Validierung bietet der für Handwerksbetriebe durchaus bedeutsamen Zielgruppe von Erwachsenen eine wichtige zweite Chance: Menschen, die durch langjährige Tätigkeit im Handwerk berufliche Kompetenzen erworben, aber keine Ausbildung abgeschlossen haben“, so ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke.
Am neuen Gesetz scheiden sich die Geister
Das Pilotprojekt ValiKom beginnt mit einer umfassenden Beratung. Hierbei geht es darum, die ausgeübten Tätigkeiten zu durchleuchten und sie einem klassischen Berufsfeld zuzuordnen. Auch hier werden nochmals Alternativen zur Validierung aufgezeigt; ein Beispiel dafür ist eine Gesellenprüfung, an der man unter gewissen Voraussetzungen auch als externer Prüfling teilnehmen kann. Wenn sich Validierung als richtiger Weg erweist, erfolgt nach einer Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten die externe Bewertung. Diese wird durch Fachleute vorgenommen, die neben der Qualifikation auch Erfahrung in der Begleitung der Berufsausbildung und -prüfung mitbringen.
Dieses Projekt läuft bereits seit 2015 an 13 HWK, 17 IHK und zwei Landwirtschaftskammern – und die Beteiligten blicken auf viele positive Erfahrungen zurück. ValiKom-Koordinatorin Heidi von Häfen von der Handwerkskammer Oldenburg betont die Chancen des Gesetzes, zumal man nicht alle Interessierten für die Validierung akzeptiere: „Wir beraten die Kandidaten immer in Richtung Berufsausbildung, wenn das möglich ist.“
An anderer Stelle ist man in dieser Hinsicht deutlich skeptischer. So befürchtet der Bundesverband der Kreishandwerkerschaften (BVKH), dass sich der „Berufsabschluss light“ als einfachere und lukrativere Alternative zur Berufsausbildung herumsprechen könne, zudem gäbe es bereits die sogenannte Externenprüfung für Gesellenberufe. Marcel Schmitt, Obermeister der Innung für elektro- und informationstechnische Handwerke Frankfurt am Main, sieht zudem ein gravierendes Problem in der haftungsrechtlichen Frage. Er schließt nicht aus, dass die neue Berufsvalidierung für andere Berufsgruppen Chancen bietet. „Aber ich kann es mir nicht in einem Gefahrenhandwerk, wie dem E-Handwerk vorstellen“, so Marcel Schmitt.
Auch Thomas Rappmann, Vorstandsmitglied der SHK-Innung in Frankfurt, ist vom BVaDiG alles andere als überzeugt. So bürge das bewährte Ausbildungssystem für Sicherheit und Qualität, die keinesfalls untergraben werden dürfe.
Der Zeitplan ist eng, die Herausforderungen sind groß
ValiKom steht bereits Pate für die künftige Berufsvalidierung. Heidi von Häfen weist aber darauf hin, dass bis zum Stichtag noch viel zu tun sei. So berücksichtige das Pilotprojekt nicht alle später validierbaren Berufe. Die Expertin ist jedoch überzeugt vom Sinn des neuen Gesetzes – nicht zuletzt aufgrund der hohen Motivation der Teilnehmenden. Viele machten sich einen Großteil der eigenen Fähigkeiten erst während des Verfahrens bewusst. Außerdem führe die Validierung zu mehr Unabhängigkeit, da man mit zertifizierten Fähigkeiten leichter zu einem anderen Arbeitgeber wechseln könne. Diesen Optimismus teilt die Expertin mit vielen, jedoch nicht mit allen Teilen der betreffenden Branchen. Sicher werden die mahnenden Stimmen zum BVaDiG nicht verstummen – und womöglich zu Nachbesserungen führen.