Der Erdüberlastungstag, an dem die Bevölkerung rein rechnerisch ihr Jahreskontingent an Ressourcen verbraucht hat, fiel in diesem Jahr auf den 4. Mai. Daraus lässt sich ableiten, dass irgendwann rein rechnerisch keine nachwachsenden Rohstoffe mehr zur Verfügung stehen. Hier gilt es dringend umzusteuern, denn in nahezu allen Fällen ist das Recycling von Wertstoffen deutlich weniger umwelt- und klimabelastend als die Gewinnung neuer Rohstoffe.
Die neue Bundesregierung hat sich eine Kreislaufwirtschaftsstrategie auf die eigene To-do-Liste geschrieben. Das Potenzial für ein solches Vorhaben ist gewaltig. Laut EUROSTAT werden in Deutschland aktuell lediglich 13,4 Prozent aller wiederverwertbaren Stoffe recycelt. Und selbst die Niederlande als europäische Spitzenreiter liegen mit knapp über 30 Prozent weit unter ihren Möglichkeiten.
Die aktuelle Krise hat Mängel in unseren Ressourcen- und Wertschöpfungsketten aufgezeigt, von denen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und die Industrie betroffen sind. Doch auch im Handwerk sind die Auswirkungen deutlich zu spüren. Vertreter unterschiedlicher Branchen klagen über Engpässe bei der Lieferung von Rohstoffen. Eine Ausweitung des Produkt- und Materialrecyclings ist darum dringend erforderlich.
Der Ukraine-Krieg trägt nachdrücklich zu einem Umdenken bei. Durch die Aufbereitung bereits genutzter Materialien ließe sich eine höhere Unabhängigkeit von bisherigen Lieferanten erreichen. Doch selbst wenn die etablierten Quellen weiterhin liefern würden, wären diese zeitnah erschöpft. Würde alles so weiterlaufen wie bisher, wären im Jahr 2050 drei Erden erforderlich, um unseren Ressourcenbedarf zu decken. Es gibt also mehr als gute Gründe, die Rohstoffe im Kreislauf zu halten.
Motor für die europäische Wirtschaft
Neben Deutschland plant auch die EU Gesetze und Maßnahmen, die die Rohstoffnutzung verändern sollen. Im Rahmen des europäischen Green Deals hat die EU-Kommission einen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft vorgelegt, der in den nächsten Jahren umgesetzt werden soll. Sie geht davon aus, dass der Plan das Wirtschaftswachstum um 0,5 Prozent steigern wird. Auch die anderen genannten Zahlen sind beachtlich: Bis zu 700.000 neue Arbeitsplätze könnten EU-weit entstehen und die Wertschöpfung bei jährlich rund 80 Milliarden Euro liegen. Je schneller die jeweiligen Mitgliedsstatten auf die Kreislaufwirtschaft umstellen, desto höher sei der eigene Profit.
Die wichtigste Rohstoffquelle befindet sich aber vor der Tür. Denn ein Großteil der dringend benötigten Rohstoffe ist bereits in Europa und lässt sich dank der Kreislaufwirtschaft immer wieder verwenden. Auch wenn ihre Aufbereitung ebenfalls Aufwand und Kosten verursacht: In den meisten Fällen sind die entstehenden Umweltschäden und der CO2-Ausstoß bei der Neugewinnung von Rohstoffen ungleich höher.
Vom Upcycling zum Cradle-to-Cradle-Prinzip
Die Wiederverwendung von Komponenten zerlegter Altprodukte ist keine neue Idee, sondern wird in ihren Grundzügen schon seit Jahrtausenden praktiziert. Allerdings war sie nie wichtiger als heute, denn für Reparaturen und Instandsetzungen technischer Anlagen sind zahlreiche Bauteile auf anderen Wegen nicht oder nicht mehr zu bekommen. Das Wirtschaftsprinzip Cradle-to-Cradle geht noch einen Schritt weiter. In dieser Betrachtung gibt es keine Produkte, sondern nur Rohstoffe in geschlossenen Kreisläufen, die ohne Qualitätsverlust immer wieder neu verwendet werden können. Jedes Produkt mit Cradle-to-Cradle-Zertifikat kann nach seiner Nutzungsdauer wieder so zerlegt werden, dass die Rohstoffe für die Herstellung neuer Produkte zur Verfügung stehen.
Bis dahin sollen die Produkte möglichst lange genutzt werden können. Die Ampel-Koalition will die Hersteller nicht nur beim Recycling in die Pflicht nehmen, sondern auch in Bezug auf die Langlebigkeit und Reparierbarkeit ihrer Produkte. Auch auf europäischer Ebene wird an einem „Recht auf Reparatur“ gearbeitet, eine bewusst herbeigeführte Veralterung ist bei neuen Geräten als unlautere Geschäftspraktik definiert. Dies beinhaltet auch die Verpflichtung der Hersteller, die für eine Reparatur von großen Haushaltsgeräten erforderlichen Ersatzteile sieben bis zehn Jahre lang verfügbar zu halten. Zudem müssen die Produkte so beschaffen sein, dass sie sich mit herkömmlichen Werkzeugen zerlegen lassen, ohne sie dabei zu beschädigen.