Vorurteile wie die Benachteiligung als Frau in einem Handwerksberuf, körperlich zu schwerer Arbeit bis hin zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sind meist völlig unbegründet. Dennoch halten sie sich hartnäckig. Die EGRM-Redaktion hat mit der jungen Bezirksschornsteinfegerin Julia Hofmann aus Frankfurt gesprochen und die verbreiteten Bedenken – zumindest für das Schornsteinfegerhandwerk – aus dem Weg geräumt. Vielmehr zeigte sich, welche Vorteile der Beruf für eine Frau mit sich bringen kann und wie wichtig es ist, dass bereits die Eltern ihre Kinder bei der Berufswahl unterstützen.
1. Frau Hofmann, seit Mai dieses Jahres sind Sie selbständige Bezirksschornsteinfegerin in Frankfurt. Erst einmal herzlichen Glückwunsch dazu! Stand für Sie immer fest, dass Sie Schornsteinfegerin werden möchten?
„Vielen Dank! Angefangen hat alles mit einem Praktikum bei einem Schornsteinfeger. Ich fand den Beruf schon immer toll und sehr interessant. Ein Freund unserer Familie ist bevollmächtigter Bezirksschornsteinfeger, durch ihn wurde ich auf den Beruf aufmerksam – und durfte auch bei ihm meine Ausbildung machen.
Bei meiner Berufswahl war ein entscheidender Faktor nicht nur im Büro tätig zu sein, sondern auch draußen im Freien arbeiten zu können und dabei viel im Kontakt mit Menschen zu stehen.“
2. Wie hat Ihre Familie reagiert, als Sie sich für diesen Beruf entschieden haben?
„Meine Familie fand meine Entscheidung, ,Glücksbringerin´ zu werden, natürlich super und hat mich immer unterstützt. Es ist zwar kein alltäglicher Beruf, dafür aber ein sehr traditioneller.“
3. Im Anschluss an Ihre Ausbildung zur Schornsteinfegerin haben Sie auch noch eine Ausbildung zur Kauffrau für Versicherung und Finanzen gemacht. Was war der Grund hierfür?
„Die zweite Ausbildung war meine eigene Entscheidung. Ich wollte einfach einen Einblick in den Büroalltag bekommen, denn als bevollmächtigte Bezirksschornsteinfegerin muss man ja auch die Bürotätigkeiten bewältigen. Und diese Entscheidung für eine kaufmännische Ausbildung kommt mir natürlich jetzt in der Selbständigkeit zugute.“
4. In Hessen gibt es gerade einmal 13 weibliche Schornsteinfeger, sieben davon sind Bezirksschornsteinfegermeisterinnen wie Sie. Wie ist der Alltag als Frau in einem sonst eher männlich dominierten Beruf? Haben Sie mit Vorurteilen zu kämpfen?
„Als Frau hat man eigentlich keine Nachteile, eher Vorteile: Denn gerade als Schornsteinfegerin ist man oft auch Vertrauensperson und kommt mit den Leuten viel ins Gespräch. Ich glaube, wir sind besser informiert, als mancher Briefträger.
Und viele Kunden freuen sich über eine Schornsteinfegerin, da es ja etwas Besonderes ist. Natürlich wird man als Frau häufiger angesprochen, wie man auf diesen ungewöhnlichen Beruf kam, ob er Spaß macht und nicht zu schwer für eine Frau ist. Manchmal sind die Kunden auch etwas unsicher, ob Aufgaben, wie z.B. aufs Dach gehen, auch von einer Frau bewältigt werden können. Na klar können wir das, das sehen unsere Kunden sofort und das Vorurteil gegenüber Frauen ist schnell beseitigt."
5. Gibt es Nachteile, die der Beruf Ihrer Meinung nach mit sich bringt? Würden Sie ihn als körperlich anstrengend bezeichnen?
„Sauber bleibt man in unserem Beruf nicht lange. Doch man gewöhnt sich daran; ebenso wie an die Spinnenweben, die häufig mal in den Haaren kleben. Aber ich denke, das weiß man, wenn man sich den Beruf „Schornsteinfegerin“ ausgesucht hat. Körperlich anstrengend ist die Arbeit auf jeden Fall. Das ist aber auch wiederum abhängig von der Kehrbezirksstruktur – ob diese eher ländlich oder städtisch geprägt ist.“
6. Ihre Ausbildung haben Sie in Breitscheid bei der Firma Keßler und Dorndorf absolviert. Wie war dort der Alltag mit den Kollegen? Waren Sie die einzige weibliche Auszubildende/Angestellte? Gab es Situationen, in denen Sie sich als Frau benachteiligt gefühlt haben?
„In meinem Ausbildungsbetrieb war ich die einzige Auszubildende. Das ist gängige Praxis in unserem Handwerk, dass jeder Betrieb nur einen Azubi hat. Mit meinem damaligen Ausbilder und dem Chef der Firma herrschte ein sehr angenehmes Betriebsklima und ich wurde als Frau bestens akzeptiert. Das gilt auch für die Kunden, da sie schnell merkten, dass ich alle Aufgaben genauso gut wie meine männlichen Kollegen bewältigen konnte. Schornsteinfeger ist eben kein typischer männlicher Beruf mehr.
7. Seit Längerem leidet das Handwerk unter einem Fachkräftemangel. Würden Sie sagen, Politik, Schule etc. müssen stärker für die Vorteile eines Handwerksberufs werben und junge Frauen mehr motivieren?
„Wie allgemein bekannt, hat auch unser Handwerk mit den Problemen anderer Gewerke bezüglich des schulischen Werdegangs etc. zu kämpfen. In den Jahren 2014 bis 2017 war das Schornsteinfegerhandwerk zumindest in Hessen ein gern gewählter Beruf mit entsprechendem Nachwuchs.“
8. Viele glauben, als Schornsteinfeger müsse man nur Kamine kehren. Existiert Ihrer Meinung nach ein veraltetes Bild vom Beruf des Schornsteinfegers in den Köpfen der Menschen?
„Natürlich gehört der Zylinder immer noch zum klassischen Erscheinungsbild des Schornsteinfegerhandwerks. Aber die Kundschaft erkennt sehr wohl den Wandel in die Moderne etwa in Bezug auf Energieberatung und Lüftungstechnik.“
9. Kann jede Frau Schornsteinfegerin werden oder würden Sie sagen, man muss gewisse Anforderungen erfüllen?
„Man sollte keine Höhenangst haben, aber dennoch Respekt vor der Höhe. Wenn das Wetter gut ist, dann macht das Klettern auf dem Dach viel Spaß. Doch auch bei Wind, Regen und Schnee steigen wir auf die Dächer. Man sollte also auf jeden Fall unempfindlich sein, was das Wetter betrifft.“
10. Viele junge Frauen scheuen sich, einen Handwerksberuf zu erlernen, zum Teil aufgrund verschiedener Vorurteile. Was würden Sie anderen jungen Frauen raten, die unsicher sind, ob sie einen solchen Beruf ergreifen sollen?
„Den jungen Frauen, die sich für unseren Beruf interessieren, rate ich, ein Praktikum zu machen oder in jüngeren Jahren am Girls Day teilzunehmen. Das sind beides tolle Möglichkeiten, um einen Einblick in das Berufsbild des Schornsteinfegers zu bekommen.“
Zur Person Julia Hofmann:
- Alter: 32 Jahre
- Für 7 Jahre bevollmächtigte Bezirksschornsteinfegerin Frankfurt
- Familienstand: ledig
- Kehrbezirk: Frankfurt 23
- Seit 1.5.2018 selbständig
- 2004-2007 Ausbildung bei Firma Keßler in Breitscheid, davor Praktikum
- 2007-2010 Ausbildung zur Kauffrau für Versicherung und Finanzen
- 2010-2013 Meisterschule
- 2013-2018 als Meisterin in Dillenburg tätig
Die Branche im Überblick:
- Das Schornsteinfeger-Handwerk entstand im Mittelalter in Italien. Nach Österreich und Süddeutschland verbreitete es sich im 16. Jahrhundert.
- In Hessen gibt es laut dem Landesinnungsverband der Schornsteinfeger 1.126 Schornsteinfeger, davon sind 14 Frauen. Sieben dieser Frauen sind Bezirksschornsteinfegermeisterin wie Julia Hofmann. Es existieren 563 Betriebe. Aktuell gib es 134 „Kehr-Azubis“ in Hessen (Stand Juli 2017).